Das Glück mit den Toten auf dem Rücksitz

Das Glück mit den Toten auf dem Rücksitz

Als mir eine Freundin den Link auf ein Lied von Thees Uhlmann schickt, ahne ich noch nicht, dass dieses Lied mich zwingen wird, über meine Toten auf der Rückbank zu schreiben. Aber von Anfang an. Heute ist ein Tag, der mich etwas nervös macht. Es gibt einen wichtigen Termin. Es geht um die Liebe und um die Zerbrechlichkeit großer Gefühle, um das Zusammenleben mit vertrauten alten Dämonen.

Die Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich mich schwer tue mit Leichen jeder Art im Keller. Ich habe meine alle mühevoll einbalsamiert und nun sitzen sie in Ihren Gräbern und verwesen vor sich hin. Bis HEUTE. Heute dürfen sie raus und auf die Rückbank. Weil Thees Ullmann dazu einlädt. Und weil ich mein 3-maliges Abhören der musikalischen Einladung mehrmals mit Nasenschneuzereien unterbrechen muss.

Pack all deine schönsten und wertvollsten Dinge ein

Thees singt davon, wie der aufbrechen will mit der Liebsten und dass sie all ihre schönsten und wertvollen Dinge einpacken soll – die Narben und das Lieblingsshirt. Weil es eine weite Reise wird, über Flüsse und Berge. Und er singt davon, dass die Toten auf dem Rücksitz sitzen und dort Waltzing Matilda singen. Ich stelle mir vor, wie meine Toten da alle sitzen. Irgendwie gequetscht und irgendwie so, als wäre ihnen heute nichts Besseres eingefallen, als mir und meinem geliebten Reisegefährten das Leben zu versauern.

Die Toten schaukeln im Takt

Im Rückspiegel springen mir 3 tote Kandidaten besonders ins Auge. Ich zwinkere ihnen zu, aber so wirklich belebend sind ihre sauertöpfischen Mienen nicht. Also sehe ich nach rechts und sehe den tollsten und coolsten Mitfahrer neben mir. Wir sind noch etwas verschüchtert – zusammen mit all unseren Toten hinter uns – aber ganz langsam und zaghaft lächeln wir uns zu, bevor wir auf dem Navigationsgerät vor uns herumdrücken, bis wir endlich unser Ziel eingestellt haben: Liebe steht da.

Die Toten hinter uns schaukeln im Takt, als wir ihnen zuliebe Waltzin Mathilda spielen. Wir singen alle gemeinsam laut mit. Ich starte meinen 2.ten Versuch der lächelnden Kontaktaufnahme und kann es kaum glauben, dass 2 Tote mir ganz breit entgegengrinsen. Ich setze meine Brille auf und fixiere die beiden ein zweites Mal. Und ja, eindeutig. Sie strahlen mich an. Ich entschließe mich einen obendrauf zu setzen und frage: „Wie geht es euch? Ist alles bequem? Oder braucht ihr noch etwas zu eurem Glück?“ Das scheint das Stichwort zu sein. „Jaaa, wenn du so fragst“ rasselt mein mittlerer Toter mir entgegen. Ich blicke ihn aufmerksam an. „Ich könnte einen ordentlichen Jack-Daniels-Cola gebrauchen. Und eine Lucky Strike dazu wäre wirklich perfekt.“

Ich kann es nicht fassen, wie sehnsüchtig die Augen eines Toten aussehen können. „Sorry, geraucht wird in diesem Auto leider nicht, aber einen Jacky-Cola gibt es in jedem Fall, sobald die nächste Tankstelle in Sicht ist. Bis dahin hab ich eine Frage an dich“ Der mittlere Tote zeigt mit seiner schwarzen Hand auf sein Ohr. Ich verstehe das als Aufforderung loszulegen. „Warum fährst du hier mit mir auf dieser Reise. Was versprichst du dir davon? Ist es nicht viel gemütlicher in deiner Totengrabstätte?“ Der mittlere Tote zeigt so etwas ähnliches wie eine Gesichtsfarbe, als eine feine Röte sein Gesicht überzieht. „Na ja, ich bin dabei, weil ich doch zu deinem Leben gehöre. Du kannst doch die Reise der Liebe nicht ohne mich machen.“ Ach so, denke ich, ein klassischer Fall von Vernachlässigung.

Liebling, kannst du meine Toten überhaupt sehen?

„Du steigst aus deinem Grab, um mich daran zu erinnern, dass du zu meiner Liebesreise gehörst??!“ Ich kann es nicht fassen. Typisch, der mittlere Tote. Ich erinnere mich, warum wir damals nicht zusammenbleiben konnten. Aber ich erinnere mich auch an unsere Liebe und an glückliche Zeiten. Ich nehme meine Hand vom Lenker und lege sie einfach in seine. Er will zurückzucken und überlegt es sich anscheinend anders. Stattdessen singt er unser Lieblingslied von damals. So laut, dass ich befürchte, die anderen Toten könnten Lärmbelästigung beanstanden und aussteigen wollen. Und ich erinnere mich an dieses schöne Liebeslied.

Ich lächele den mittleren Toten an und signalisiere ihm, dass ich mich gut erinnere. Er versucht doch tatsächlich zu flirten. Ungläubig starre ich ihn an. „Du weißt schon, dass neben mir meine Liebe sitzt?“ Er macht einen kleinen Pfff-Ton und zieht seine Augenbrauen hoch. Wie früher, denke ich. Kurz überlege ich, ob ich auf seinen Flirtversuch eingehen möchte und wende den Kopf nach rechts. Da sehe ich den Menschen, der mit mir zum Ziel aufgebrochen ist heute morgen. Er sieht ganz entspannt aus. Ich frage mich, ob er meine Toten überhaupt sieht.

Wow, die sieht ganz schön cool aus!

Hilft nix, ich frage ich direkt. „Liebling? Kannst du eigentlich meine Toten sehen?“ Er dreht sich zu mir. „Die auf der Rückbank? Den, der gerade mit dir zu flirten versucht?“ „Liebling“ stammle ich…. und hoffe, ich finde aus dieser ungemütlichen Minute heil raus, ohne zu riskieren, dass der Platz rechts von mir für den Rest der Fahrt still bleibt.

„Meine Liebste, mach dir keine Sorgen.“ höre ich und atme auf. „Flirte so oft und so lange, wie du willst. Schließlich tust du es ja mit deinen Toten. Ich würde mich allerdings wirklich sehr freuen, wenn du mir deine 3 Freunde auf dem Rücksitz vorstellen würdest. Besonders den in der Mitte.“

Ich sehe eine minikleine Sorgenfalte im Gesicht meines rechten Platznachbarn. „Ach der… er war mal vor einer Zeit eine besondere Liebe von mir“. Zack, das sitzt.

Der besondere Mensch in Echtzeit neben zuckt zusammen und scheint kurz getroffen. Dann strafft er seine Schultern und blickt mich eindringlich an. „Siehst du meine Toten? Etwa die ganz rechts. Die, die die ganze Zeit so tut, als wäre sie gar nicht hier. Die mit den Füßen wippt, als hätte sie noch einen wichtigen Termin und macht hier nur einen unvermeidlichen Zwischenstopp. Siehst du die?“ Ich sehe sie und denke: Wow, die sieht irgendwie ganz schön cool aus. Sofort nimmt mich eine kleine Eifersucht in den Griff. Ich will sie abschütteln und spüre ihr Gewicht tonnenschwer auf mir. Da nimmt mein Reisegefährte auf dem vorderen Platz meine Hand. „Das war eine andere Zeit.

Jetzt ist sie eine von meinen Toten auf dem Rücksitz. Und irgendwie tut sie mir leid, wie sie da so tut, als ginge sie das alles gar nichts an. Ich möchte sie am liebsten einmal fest umarmen und ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen muss, weil sie auf unserem Rücksitz einen ganz sicheren Platz hat. Mein Liebling sieht jetzt doch ein bisschen bekümmert aus. „Vielleicht kannst du ihr auch einmal gut zureden. Sie ist hin und wieder nicht gut auf mich zu sprechen gewesen und gerade weiß ich nicht, wie der aktuelle Stand ist.“

Ja, wir haben einen Platz für dich!

Ich fasse mir ein Herz, schüttele die bleiernde Eifersucht ab und wende mich schwungvoll zu der rechten Toten um. „Hi“ schmettere ich mit meiner schönsten Begeisterungsstimme.  Du siehst wirklich schön aus. Wir fahren jetzt über Flüsse und Berge, kommst du mit? Magst du bei uns bleiben?“ Die rechte Tote blickt mich erleichtert an.

„Habt ihr denn noch Platz für mich? Ich bin ja nur auf Warteposition. Wenn es weitergeht mit meiner Reise, bin ich ja schon wieder weg.“ Ich sehe sie an, so richtig an – wie sie so unsicher dasitzt und wende mich zu meinem Platznachbarn der Liebe – und ich fühle eine große Wärme in mir. „Ja, wir haben Platz! Besonders für dich. Weil du hier auf unserer Autofahrt der Liebe einen richtig besonderen Rücksitz hast. Ohne dich gäbe es meine Liebe rechts von mir nicht. Ohne dich hätte der Mensch, der rechts lebendig neben mir sitzt, nicht genau diesen besonderen Blick, wenn er mich ansieht. All seine Narben machen ihn aus, seine Lieben und seine Tage der Zuversicht nach langen Strecken in Tälern der Traurigkeiten.“

Ich merke, dass die Stille im Auto immer lauter wird und ende mit meinem Plädoyer für tote Lieben. „Hallo?“ frage ich, „Seid ihr alle da? Alle geliebten Toten von uns?“ Alle Toten auf der Rückbank spitzen die Ohren. Dann fassen sie sich an die Hände und rufen: „Ja, wir sind da!“ Mein Lieblingsreisegefährte und ich sehen uns an, fassen uns bei den Händen und rufen nach hinten: „Herzlich willkommen“ Schön, dass Ihr da seid! Bitte bleibt!

 

Die Toten auf dem Rücksitz
Thees Uhlmann

Erzähl deinen Freunden
Erzähl allen die du kennst,
dass wir heute Nacht fahren
Der Himmel ist klar
und der Mond, er scheint.
Der Wind steht gut
und die Nacht ist warm.

Pack deine Sachen
Nimm alles mit
Was Dir wichtig ist & was Dir gefällt.

Deine Fotos, alte Platten, die Narben, die Hoffnung,
dein liebstes T-Shirt & das letzte Geld. Wunder Dich nicht
Über die Toten auf dem Rücksitz
und lass sie für uns Waltzing Mathilda singen
und wunder Dich nicht über die Route, die ich nehme
Du wirst sehen ich werde uns sicher ans Ziel bringen. Über die Berge, die Städte, die Flüsse & Ströme & wir
Werden mit den Toten zusammen singen. Hinter den Bergen, den Städten, den Flüssen & Strömen, den Fotos & dem letzten Geld.
Mit deinen Narben, den Platten, deiner Hoffnung, diesem T-Shirt
Am anderen Ende der Welt. Die Straße verschmilzt. Am Horizont in der Sonne
Ich habe immer gezweifelt. Doch jetzt sehe ich klar

Alles ist gut, wenn du neben mir sitzt
Nur noch ein paar Kilometer
& dann sind wir hinter. Den Bergen, den Städten, den Flüssen & Strömen, den Fotos & dem letzten Geld.
Mit deinen Narben, den Platten, deiner Hoffnung, diesem T-Shirt
Am anderen Ende der Welt. Lied hören 

Es ist was es ist!

Es ist was es ist!

Als sie vor der Tür steht, will ich sie nicht reinlassen. Sie war schließlich so lange weg, da konnte sie mir einfach mal gestohlen bleiben. Ich hatte nicht mit ihrer Hartnäckigkeit gerechnet. Die Tür kaum zugeworfen, preschte sie ihren kleinen Fuss in den Türspalt. Zack, war sie drinnen. Ich sah sie erstaunt an. »Hallo, was soll das?« Die LIEBE taxiert mich aufsässig. »Wieso? Was ist denn dein Problem? Ich geh dahin, wo es mir passt. Und bei dir passt es mir eben sehr zurzeit richtig gut.«

Ich komme ja wieder

» Genau das ist das Problem! rufe ich ihr ärgerlich entgegen. Zurzeit!!!! Und was ist, wenn deine Zeit abgelaufen ist. Wenn es dir plötzlich nicht mehr danach ist, bei mir zu sein?

Die LIEBE lächelt. »Hey, du weißt, dass es so läuft, Das ist das Spiel. Ich bin da, wenn es die Zeit ist und ich gehe wieder, wenn ich nicht mehr gebraucht werde. Aber das ist doch auch nicht schlimm. Ich komme ja wieder.«

Ich starre die Liebe an und kann es nicht glauben. Wie kann man nur so ignorant sein, »Also, ich sag dir jetzt mal was, Liebe. Es ist mir ziemlich egal, ob dir gerade danach ist, hier zu sein. Ich will dich nicht hierhaben. Ich finde es so, wie es bei mir ist – ohne dich – sehr angenehm. Also geh!

 

Ich stehe hier wie ein Idiot im Hausflur

Die LIEBE schüttelt langsam mit dem Kopf. »Tut mir leid, den Gefallen tue ich dir nicht. Andere können sich das auch nicht aussuchen. Du bist dran und jetzt nimm mich gefälligst endlich in deine Arme. Ich steh hier wie ein Idiot im Hausflur…, nicht dein Ernst!!«

Die LIEBE dreht sich und ich ahne, sie ist im Begriff mein Zuhause einzunehmen. Entschlossen stelle ich mich ihr in den Weg. »STOP! Ich kann dich einfach nicht reinlassen….mein Puls geht nach oben und ich veruche meinen Ich-renne-zum-Bus-Atem runterzubringen…..

Ich habe Angst!! rufe ich verzweifelt. Jetzt ist es die LIEBE, die ihre Arme weit ausbreitet. »Du bist damit nicht alleine. Ich weiß, dass ich manchmal etwas angsteinflössend sein kann. Aber ich habe auch einen richtig guten Tipp gegen die Angst.«

»Okay, ich höre….« Die LIEBE macht eine bedeutungsschwangere Pause und ich bin fast versucht, sie wegen Hochstapellei wieder in Richung Ausgang zu schieben.

 

#Liebe

»Bleib im Jetzt. Hier bin ich. Und das ist dir sicher, jetzt. Hör auf, nach vorne zu sehen. Niemand weiß, was morgen ist, auch ich nicht. Aber das es jetzt LIEBE ist, das kann ich dir garantieren – sonst wäre ich nicht da.«

Ich sehe die LIEBE an und kann mich dieser entwaffenden Logik nicht entziehen. Und weil ich instinktiv weiß, dass ich gegen die LIEBE sowieso nullkommanull Chance habe, lasse ich mich in ihre Arme fallen. Was soll schon passieren. JETZT erst mal gar nix, ausser LIEBE.

♥ #Liebe

♥ #soundtrackfürdieLiebe:

EINS SEIN – Wilhelmine

ALLES ZU SEINER ZEIT – Clueso

SEVEN DAYS TO LONG – Chuck Woods

WISHING ON A STAR – Paul Weller

Glückliche Tage

Glückliche Tage

Glückliche Tage

 

Jetzt – gerade jetzt -saust er um die Häuser, mit turbulentem Getue. Ich kenne das schon. Viel Wind um nix, denke ich, werfe mir meine dicke Jacke über und springe die Treppenstufen hinunter – raus in den dunklen Abend. Ich werfe die Arme weit von mir und wippe mit den Knien. Jeder Schritt fühlt sich an wie ein kleiner Tanz. Das muss GLÜCK sein, vermute ich..

Stürmische Tage

Ein riesiger Schwall GLÜCK durchströmt mich. Hm, das ist ja was?! Den ganzen Tag komme ich nicht in Schwung und der Schreibtisch macht sich schon lustig über meine offensichtlichen »Ich-tu-mal-so-als-ob-ich-ordentlich-arbeite« Versuche.

Es sind stürmische Tage zurzeit – drinnen und draußen. Der Kopf erzählt den ganzen Tag merkwürdige Geschichten. Irgendwie ist alles ausser Rand und Band. Und warum? Weil das Leben sich von der amüsanten Seite zeigt. Einer Seite, mit der ich schon lange nicht mehr das Vergnügen hatte.

Glückliche Tage

Diese Seite des Lebens erzählt von Frotteehandtüchern und dicken Wolldecken. Und ich? Ich hatte es mir schon ein bisschen gemütlich gemacht in den dicken Decken. Bis ich merkte, dass sie zu dick sind. Zu eng und viel zu schwer. Was also tun mit dem ganzen Federzeug. Raus damit – und am besten lieber wieder mit Wärmflasche ins Bett. Hauptsache, das Leben ist wieder leicht.

Und als ich so draussen durch die Straßen laufe, sehe ich viel blau. GLÜCKLICHE TAGE in Hellblau und mit kristallklarem Himmel. Da kann der Sturm machen was er will – pfeiffen und brausen. Ich laufe und bin glücklich, dass ich den Himmel wieder über mir sehe – HIMMELBLAU.

Der Frühling kann jetzt aufwachen. Ich bin da und weiche keinen Zentimeter weg von den glücklichen Tagen. Hi Frühling – Hi Leichtikgeit – Hi GLÜCK. Ich kanns kaum erwarten, dich wieder fest in meine Arme zu schließen.

#glücklicheTage #HiFrühling

Weihnachtsessen mit Aristoteles

Weihnachtsessen mit Aristoteles

Mein Weihnachtsessen mit Freunden steht vor der Tür. Dieses Jahr wünschte ich mir einen besonderen Menschen an unseren Tisch dazu. Er ist schon sehr alt und auch sehr weise. Sein Name ist Aristoteles. Ich weiß nicht wirklich, ob er Lust hätte, mit mir und meinen Freunden zu essen, aber ich bin mir sicher – Aristoteles würde sich herrlich mit uns amüsieren.

Wahrscheinlich würde er Weihnachten gar nicht verstehen. Er war ja schon nicht mehr lebendig, als Weihnachten die Zeit veränderte. Na ja, egal. Er kommt ja auch gar nicht.

Dachte ich… bis gestern. Heute morgen aber finde ich eine kleine Notiz vom ihm im Briefkasten.

»Danke für die nette Einladung. Kein Problem – ich komme sehr gerne. Bin aber erst um 18 Uhr da. Liebe Grüße! Aristoteles.«

Ich falte den kleinen Papierzettel zusammen und kann es kaum glauben. Er kommt!! Juchuh. Meine Gesichtsfarbe wechselt innerhalb von Sekunden von blass auf frisches Rot. Jetzt gibt es kein Zurück. Der Meister der minimalistischen Philosophie kommt zu mir zu Besuch. Ich denke an mein schlichtes Weihnachtsmenü: Fisch, Kartoffen und Rosenkohl/Brokkolie. Ist das schlicht genug für einen Menschen, der behauptete:

»Ein glücklicher Mensch besitzt nur sich selbst.
Alles andere ist nicht wichtig.«

-Aristotelss-

Ich überlege kurz, gar nichts zu kochen und stattdessen lieber einen Wodka auf den Küchentisch zu stellen. Trinken war doch im alten Rom auch sehr populär. Ausserdem ist alles, was die Zunge löst, sehr willkommen. Wenn ich nervös bin, bringe ich meistens kaum einen vernünftigen Satz heraus.

»Stop, denke ich. Du machst aus einem kleinen Besuch von Aristoteles schon wieder eine Riesenwelle, die doch gar nicht nötig ist.« Also besinne ich mich auf meine 3 W-Fragen für minimalistische Einsätze.

  • Was ist das Wichtigste?  – Meistens hat sich die Frage schnell erledigt: die Menschen 🙂
  • Was habe ich bereits und kann es benutzen?
  • Wie kann ich den Rest einfach halten und improvisieren?

Meine Schultern entspannen sich: Genau Lotte, immerhin geht es bei deinem Gast um einen Menschen, der erkannt hat, dass Liebe und Mäßigkeit das Zeug haben, die Welt zu retten. Ich schreibe Aristoteles also ein paar Zeilen – Er soll wissen, dass er willkommen ist – und verstaue den schlichten Zettel an der gewohnten Stelle im Briefkasten. Ich hole tief Luft: »Aristoteles kommt zu Besuch. Das glaubt mir kein Mensch. Was ziehe ich an? Es sollte schon schlicht sein. Aber auch was mit Personality. Er soll ja schon wissen, dass ich eine coole Braut bin.«

»Puh, Lotte, wie eitel ist das denn??! Gut, dass er das nicht gehört hat.» Hier spricht übrigens dein Verstand, wenigstens einer, der bei diesem ganzen Trubel die Ruhe bewahrt.

»Pfff, ich bin ja auch nur ein Mensch.« denke ich und entscheide mich für Jeans und schwarzen Pulli. Minimalistischer gehts wohl nicht. 🙂

Durch den Hausflur in meine Wohnung stapfend fühle ich eine kleine Nervosität aufkommen. Hoffentlich vermassle ich es nicht. »Denk an die 80/20 Regel« rufe ich mir gedanklich zu. Ich entspanne mich etwas. »Stimmt, 100 Prozent braucht wirklich niemand, erst Recht nicht mein kluger Gast.«

Was essen kluge Philosophen?

In meiner Küche angekommen sehe ich ihn auf der Holzablage liegen. Geduldig wartet er auf seinen großen Einsatz: mein Einkaufszettel. Beim Überfliegen sehe ich, dass meine Weihnachtsplanung einen kleinen Haken hat. Sie ist gedacht für normale Menschen. Nicht für einen Philosophen am Esstisch. Auf meiner Liste steht: 4 x Lachs, Kartoffeln, Brokkoli und Rosenkohl.

Hm, was essen minimalistische Philosophen eigentich? Wohl keine Gans und wahrscheinlich auch kein opulentes Reh. Ich schüttle nachdenklich mit dem Kopf. Ich glaube, ich liege gar nicht so verkehrt mit meinem Fisch/Gemüse-Menü.

Na ja, Menü ist auch etwas übertrieben. Nachtisch oder Vorspeise gibt es Gott sei Dank nicht, alles 100 Prozent im Aristoteles-Modus. Sehr gut.

Draussen fängt es an zu schneien. Wobei »schneien« die fantasievolle Umschreibung von HagelRegen-Tropfen mit irgendwie Weiß-Effekt ist. Was für ein trüber Tag, seufze ich. Bevor ich meinen schweren Gedanken die Tür öffne, schiebt sich meine Vorfreude auf Aristoteles davor.

Fragen an Herrn Aristoteles

Wow, er kommt tatsächlich. Ich schwelge kurz in der Vorstellung, wie meine 3 Freunde und ich und Aristoteles sich am Tisch gegenüber sitzen und gepflegte Konversation halten. »Ne, so nicht, rattert es in meinem Kopf. Wenn er schon mal da ist, werde ich ihm Löcher in seinen dicken antiken Bauch fragen.«

Ich gebe im Kopf die Jagd auf sinnvolle Fragen an Herrn Aristoteles frei. Ich starte ganz chillig mit:

Frage 1

Wenn du schon in der Antike, also 320 Jahre bevor Jesus auf die Welt kam, so unfassbar tolle minimalistische Denkansätze formuliert hast, warum sind wir Menschen dann heute gefühlt noch mal 2350 Jahre davon entfernt, in deinem Sinne zu leben?

Frage 2

Was würdest du als erstes tun, wenn du hier auf der Welt das Sagen hättest?

Frage 3

Gibt es Dinge, die du in deinem Leben bereust?

Frage 4

Liebst du Schokolade?

Diese Frage, Lotte , nehme ich, deine Intelligenz, aus dem Rennen. Streng dich bitte etwas mehr an. Ich meine, hallo!! A.R.I.S.T.O.T.E.L.E.S.!!!

Oki, ich bessere mich 🙂

Frage 5

Hast du eine Idee, wie die Menschen innerhalb kürzester Zeit lernen, das Leben zu lieben? Ich meine, wirklich zu lieben –  mit allen Auf’s und Ab’s. Ich meine, zu schätzen und zu lieben, dass sie leben dürfen? Jetzt…

Frage 6

Findest du auch, dass die Liebe das Wichtigste auf der Welt ist?

»Hier ist wieder deine Intelligenz, Lotte. Also, was soll das? Du weißt ganz genau, dass dieser Spruch von Aristoteles ist«

»Wenn auf der Erde die Liebe herrschte,
wären alle Gesetze entbehrlich«

– Aristoteles –

»Ich weiß, liebe Intelligenz. Ich will doch nur ganz sicher gehen. Weil: Ich finde doch auch, es gibt nichts wichtigers. Aber manchmal steht meine Welt so Kopf, was die Liebe angeht, da brauche ich einfach einen extra schlauen Gedanken. Es könnte ja sein, dass ihm noch ein bisschen mehr einfällt, als das, was er vor 2350 Jahren gedacht hat.

Meine Intelligenz schüttelt den Kopf und sieht mich mit diesem Ich-gebe-auf-Blick an.

Ein Essen mit normalen Menschen

Ich mache eine kleine Pause und sehe mir meinen Fragenkatalog an. Ein kleines bisschen komisch fühle ich mich auf einmal. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was Aristoteles von meinen Fragen hält. Wahrscheinlich wollte er sich einfach mal entspannen und einen richtig netten Weihnachtsnachmittag mit normalen Menschen verbringen.

Was ist stattdessen sein Los? Eine Vorzeige-Minimalistin mit Schlaumeier-Brille macht ihm mit nervigen Fragen einen Strich durch die Rechnung. Okay, fasse ich einen Entschluss. So geht es auch nicht. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben, um an meine Antworten zu kommen. Dann weiß ich es: Ich lasse ihn komplett in Ruhe. Wir essen nett, er reibt sich anschließend seinen dicken Bauch und gerade dann, wenn er überhaupt nicht mehr mit einem Minimalisten-Angriff rechnet, schiebe ich ihm meine kleinen Fragen in seine Hosentasche. Was soll schon passieren? Im schlimmsten Falle wirft er meine Fragen einfach auf die Straße, sobald er aus dem Haus ist. Vielleicht aber macht er sich die Mühe und schreibt mir seine Antworten. Und es könnte ja auch sein, dass wir dann eine wunderbare Brieffreundschaft aufbauen….

STOP!

Ja, ja, ich weiß, meine alte Spielverderberin – die Intelligenz ist wieder am Start – Diesmal lass ich sie ihre Nase rümpfen. Es ist mir ganz egal, was Vestand und Intelligenz zu meiner neuen Liason mit Aristoteles meinen. Ich finde, wir passen sehr gut zusammen. Ein richtig hübsches minimalistische Weihnachtspaar…

Und falls Aristoteles doch nicht kommt, weil er sich zeitmäßig verplant hat, lege ich an seinen Platz einfach einen seiner alten Schinken. Wir lesen 10 Minuten draus vor und freuen uns über jeden einzelnen Bissen unseres Weihnachtsmahls – so richtig dankbar. So, als wäre es unser erstes Mal nach einer langen Hungerperiode. Ja, und dann halten wir uns unsere Bäuche und freuen uns sehr, dass wir uns lieben. Und, dass Weihnachten ist. Ob mit oder ohne Aristoteles.

♥ Fröhliche Weinachten! 🙂

 

 

 

 

 

 

 

 

Was ist Glück?

Was ist Glück?

Was ist Glück?

 

Als Fan kleiner Glücksmomente bin ich ein willkommenes Opfer für die kleinen Gesten. Die, die ganz fein und lautlos daherkommen. Wie heute morgen, als ich von der Laufrunde zurück zum Fahrrad lief und schon von weitem sah, dass etwas an dem typischen Bild Fahrrad lehnt am Zaun und blaue Regenjacke liegt im Fahrradkorb – nicht stimmte.

Etwas Undefinierbares fiel schon von weitem ins Auge, etwas ganz kleines. Beim Näherkommen erkenne ich es deutlich. Auf meiner blauen Regenjacke im Fahrradkorb liegt eine kleine rosa Blume. Ihr Stiel ist sehr kurz. Die Jackenfalten meiner blauen Regenjacke halten die Blüte trotzdem aufrecht. Stolz reckt sie ihre kleine rosa Blüte nach oben.

Für dich

Für einen kurzen Moment bin ich irritiert, um dann eine Sekunde später ganz genau zu wissen, wie diese kleine Blume ihren Weg in meinen Fahrradkorb gefunden hat. Ich staune, was kleine Gesten veranstalten mit mir. Ich schiebe mein Rad und meine Mundwinkel schieben mit – nach oben. Danke für die Blume, denke ich. Danke, diese kleine Geste einfach zu machen. Hier hat jemand nicht lange überlegt, sondern einfach ein kleines Zeichen gesetzt. Ein Zeichen, dass mir sagt: Diese Blume ist für dich, weil ich dich mag.

 

Was also ist Glück?

Manchmal eine kleine Blume im Fahrradkorb. Und sie zeigt mir wieder einmal: Glück ist nicht, was wir erreichen wollen oder was wir uns den ganzen Tag kaufen.

Glück ist manchmal nur eine kleine Geste, die sagt: 

Für mich bist du toll, so wie du bist. Du verdienst eine Blume.