
Das Glück mit den Toten auf dem Rücksitz
Als mir eine Freundin den Link auf ein Lied von Thees Uhlmann schickt, ahne ich noch nicht, dass dieses Lied mich zwingen wird, über meine Toten auf der Rückbank zu schreiben. Aber von Anfang an. Heute ist ein Tag, der mich etwas nervös macht. Es gibt einen wichtigen Termin. Es geht um die Liebe und um die Zerbrechlichkeit großer Gefühle, um das Zusammenleben mit vertrauten alten Dämonen.
Die Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich mich schwer tue mit Leichen jeder Art im Keller. Ich habe meine alle mühevoll einbalsamiert und nun sitzen sie in Ihren Gräbern und verwesen vor sich hin. Bis HEUTE. Heute dürfen sie raus und auf die Rückbank. Weil Thees Ullmann dazu einlädt. Und weil ich mein 3-maliges Abhören der musikalischen Einladung mehrmals mit Nasenschneuzereien unterbrechen muss.
Pack all deine schönsten und wertvollsten Dinge ein
Thees singt davon, wie der aufbrechen will mit der Liebsten und dass sie all ihre schönsten und wertvollen Dinge einpacken soll – die Narben und das Lieblingsshirt. Weil es eine weite Reise wird, über Flüsse und Berge. Und er singt davon, dass die Toten auf dem Rücksitz sitzen und dort Waltzing Matilda singen. Ich stelle mir vor, wie meine Toten da alle sitzen. Irgendwie gequetscht und irgendwie so, als wäre ihnen heute nichts Besseres eingefallen, als mir und meinem geliebten Reisegefährten das Leben zu versauern.
Die Toten schaukeln im Takt
Im Rückspiegel springen mir 3 tote Kandidaten besonders ins Auge. Ich zwinkere ihnen zu, aber so wirklich belebend sind ihre sauertöpfischen Mienen nicht. Also sehe ich nach rechts und sehe den tollsten und coolsten Mitfahrer neben mir. Wir sind noch etwas verschüchtert – zusammen mit all unseren Toten hinter uns – aber ganz langsam und zaghaft lächeln wir uns zu, bevor wir auf dem Navigationsgerät vor uns herumdrücken, bis wir endlich unser Ziel eingestellt haben: Liebe steht da.
Die Toten hinter uns schaukeln im Takt, als wir ihnen zuliebe Waltzin Mathilda spielen. Wir singen alle gemeinsam laut mit. Ich starte meinen 2.ten Versuch der lächelnden Kontaktaufnahme und kann es kaum glauben, dass 2 Tote mir ganz breit entgegengrinsen. Ich setze meine Brille auf und fixiere die beiden ein zweites Mal. Und ja, eindeutig. Sie strahlen mich an. Ich entschließe mich einen obendrauf zu setzen und frage: „Wie geht es euch? Ist alles bequem? Oder braucht ihr noch etwas zu eurem Glück?“ Das scheint das Stichwort zu sein. „Jaaa, wenn du so fragst“ rasselt mein mittlerer Toter mir entgegen. Ich blicke ihn aufmerksam an. „Ich könnte einen ordentlichen Jack-Daniels-Cola gebrauchen. Und eine Lucky Strike dazu wäre wirklich perfekt.“
Ich kann es nicht fassen, wie sehnsüchtig die Augen eines Toten aussehen können. „Sorry, geraucht wird in diesem Auto leider nicht, aber einen Jacky-Cola gibt es in jedem Fall, sobald die nächste Tankstelle in Sicht ist. Bis dahin hab ich eine Frage an dich“ Der mittlere Tote zeigt mit seiner schwarzen Hand auf sein Ohr. Ich verstehe das als Aufforderung loszulegen. „Warum fährst du hier mit mir auf dieser Reise. Was versprichst du dir davon? Ist es nicht viel gemütlicher in deiner Totengrabstätte?“ Der mittlere Tote zeigt so etwas ähnliches wie eine Gesichtsfarbe, als eine feine Röte sein Gesicht überzieht. „Na ja, ich bin dabei, weil ich doch zu deinem Leben gehöre. Du kannst doch die Reise der Liebe nicht ohne mich machen.“ Ach so, denke ich, ein klassischer Fall von Vernachlässigung.
Liebling, kannst du meine Toten überhaupt sehen?
„Du steigst aus deinem Grab, um mich daran zu erinnern, dass du zu meiner Liebesreise gehörst??!“ Ich kann es nicht fassen. Typisch, der mittlere Tote. Ich erinnere mich, warum wir damals nicht zusammenbleiben konnten. Aber ich erinnere mich auch an unsere Liebe und an glückliche Zeiten. Ich nehme meine Hand vom Lenker und lege sie einfach in seine. Er will zurückzucken und überlegt es sich anscheinend anders. Stattdessen singt er unser Lieblingslied von damals. So laut, dass ich befürchte, die anderen Toten könnten Lärmbelästigung beanstanden und aussteigen wollen. Und ich erinnere mich an dieses schöne Liebeslied.
Ich lächele den mittleren Toten an und signalisiere ihm, dass ich mich gut erinnere. Er versucht doch tatsächlich zu flirten. Ungläubig starre ich ihn an. „Du weißt schon, dass neben mir meine Liebe sitzt?“ Er macht einen kleinen Pfff-Ton und zieht seine Augenbrauen hoch. Wie früher, denke ich. Kurz überlege ich, ob ich auf seinen Flirtversuch eingehen möchte und wende den Kopf nach rechts. Da sehe ich den Menschen, der mit mir zum Ziel aufgebrochen ist heute morgen. Er sieht ganz entspannt aus. Ich frage mich, ob er meine Toten überhaupt sieht.
Wow, die sieht ganz schön cool aus!
Hilft nix, ich frage ich direkt. „Liebling? Kannst du eigentlich meine Toten sehen?“ Er dreht sich zu mir. „Die auf der Rückbank? Den, der gerade mit dir zu flirten versucht?“ „Liebling“ stammle ich…. und hoffe, ich finde aus dieser ungemütlichen Minute heil raus, ohne zu riskieren, dass der Platz rechts von mir für den Rest der Fahrt still bleibt.
„Meine Liebste, mach dir keine Sorgen.“ höre ich und atme auf. „Flirte so oft und so lange, wie du willst. Schließlich tust du es ja mit deinen Toten. Ich würde mich allerdings wirklich sehr freuen, wenn du mir deine 3 Freunde auf dem Rücksitz vorstellen würdest. Besonders den in der Mitte.“
Ich sehe eine minikleine Sorgenfalte im Gesicht meines rechten Platznachbarn. „Ach der… er war mal vor einer Zeit eine besondere Liebe von mir“. Zack, das sitzt.
Der besondere Mensch in Echtzeit neben zuckt zusammen und scheint kurz getroffen. Dann strafft er seine Schultern und blickt mich eindringlich an. „Siehst du meine Toten? Etwa die ganz rechts. Die, die die ganze Zeit so tut, als wäre sie gar nicht hier. Die mit den Füßen wippt, als hätte sie noch einen wichtigen Termin und macht hier nur einen unvermeidlichen Zwischenstopp. Siehst du die?“ Ich sehe sie und denke: Wow, die sieht irgendwie ganz schön cool aus. Sofort nimmt mich eine kleine Eifersucht in den Griff. Ich will sie abschütteln und spüre ihr Gewicht tonnenschwer auf mir. Da nimmt mein Reisegefährte auf dem vorderen Platz meine Hand. „Das war eine andere Zeit.
Jetzt ist sie eine von meinen Toten auf dem Rücksitz. Und irgendwie tut sie mir leid, wie sie da so tut, als ginge sie das alles gar nichts an. Ich möchte sie am liebsten einmal fest umarmen und ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen muss, weil sie auf unserem Rücksitz einen ganz sicheren Platz hat. Mein Liebling sieht jetzt doch ein bisschen bekümmert aus. „Vielleicht kannst du ihr auch einmal gut zureden. Sie ist hin und wieder nicht gut auf mich zu sprechen gewesen und gerade weiß ich nicht, wie der aktuelle Stand ist.“
Ja, wir haben einen Platz für dich!
Ich fasse mir ein Herz, schüttele die bleiernde Eifersucht ab und wende mich schwungvoll zu der rechten Toten um. „Hi“ schmettere ich mit meiner schönsten Begeisterungsstimme. Du siehst wirklich schön aus. Wir fahren jetzt über Flüsse und Berge, kommst du mit? Magst du bei uns bleiben?“ Die rechte Tote blickt mich erleichtert an.
„Habt ihr denn noch Platz für mich? Ich bin ja nur auf Warteposition. Wenn es weitergeht mit meiner Reise, bin ich ja schon wieder weg.“ Ich sehe sie an, so richtig an – wie sie so unsicher dasitzt und wende mich zu meinem Platznachbarn der Liebe – und ich fühle eine große Wärme in mir. „Ja, wir haben Platz! Besonders für dich. Weil du hier auf unserer Autofahrt der Liebe einen richtig besonderen Rücksitz hast. Ohne dich gäbe es meine Liebe rechts von mir nicht. Ohne dich hätte der Mensch, der rechts lebendig neben mir sitzt, nicht genau diesen besonderen Blick, wenn er mich ansieht. All seine Narben machen ihn aus, seine Lieben und seine Tage der Zuversicht nach langen Strecken in Tälern der Traurigkeiten.“
Ich merke, dass die Stille im Auto immer lauter wird und ende mit meinem Plädoyer für tote Lieben. „Hallo?“ frage ich, „Seid ihr alle da? Alle geliebten Toten von uns?“ Alle Toten auf der Rückbank spitzen die Ohren. Dann fassen sie sich an die Hände und rufen: „Ja, wir sind da!“ Mein Lieblingsreisegefährte und ich sehen uns an, fassen uns bei den Händen und rufen nach hinten: „Herzlich willkommen“ Schön, dass Ihr da seid! Bitte bleibt!
Die Toten auf dem Rücksitz
Thees Uhlmann
Erzähl deinen Freunden
Erzähl allen die du kennst,
dass wir heute Nacht fahren
Der Himmel ist klar
und der Mond, er scheint.
Der Wind steht gut
und die Nacht ist warm.
Pack deine Sachen
Nimm alles mit
Was Dir wichtig ist & was Dir gefällt.
Deine Fotos, alte Platten, die Narben, die Hoffnung,
dein liebstes T-Shirt & das letzte Geld. Wunder Dich nicht
Über die Toten auf dem Rücksitz
und lass sie für uns Waltzing Mathilda singen
und wunder Dich nicht über die Route, die ich nehme
Du wirst sehen ich werde uns sicher ans Ziel bringen. Über die Berge, die Städte, die Flüsse & Ströme & wir
Werden mit den Toten zusammen singen. Hinter den Bergen, den Städten, den Flüssen & Strömen, den Fotos & dem letzten Geld.
Mit deinen Narben, den Platten, deiner Hoffnung, diesem T-Shirt
Am anderen Ende der Welt. Die Straße verschmilzt. Am Horizont in der Sonne
Ich habe immer gezweifelt. Doch jetzt sehe ich klar
Alles ist gut, wenn du neben mir sitzt
Nur noch ein paar Kilometer
& dann sind wir hinter. Den Bergen, den Städten, den Flüssen & Strömen, den Fotos & dem letzten Geld.
Mit deinen Narben, den Platten, deiner Hoffnung, diesem T-Shirt
Am anderen Ende der Welt. Lied hören