Wir sitzen auf einer kleinen Holzbank in der Sonne. Meine Nase: sie tropft und ich krame in meiner Tasche nach einem Tempo. Hilfesuchend sehe ich dich an. Im Grunde bist du kein Menschentyp, dem ich Taschentücher zutraue. Du überrascht mich: »Ich habe nur ein echtes, möchtest du das?« Ich versuche zu erahnen, wovon genau du sprichst. »Was meinst du mit ein echtes?«. Du gibst nicht auf. »Ein altes Taschentuch. Das habe ich immer dabei. Möchtest du?« Ich verstehe und frage im Scherz: »schon benutzt?«. Du bleibst wie immer cool. »Nein, Liebling. Es ist frisch gebügelt und ich habe es immer dabei – für genau diese Tage. Ich schenke es dir.« Ich lächle, schniefe und nicke.
Ich lass dich nicht mehr aus den Augen
Du ziehst ein akkurat zusammengefaltetes rosa-weißes Taschentuch aus Baumwolle aus deiner Manteltasche. Ich breche innerlich zusammen. Wo zum Teufel gibt es noch Menschen, die Baumwolltaschentücher bei sich tragen und sie verschenken?? Ich nehme das Taschentuch, verliebe mich augenblicklich in diese wunderbare Geste und verspreche innerlich hoch und heilig, dieses kleine Taschentuch nie wieder aus den Augen zu lassen.
Die Sicherheit der alten Dinge
Wo auch immer ihr alle seid – ihr Taschentücher aus Baumwolle. Früher ward ihr immer an einem festen Platz. In unserer roten Holzkommode lagt ihr perfekt gefaltet übereinander in der 3 Schublade ganz hinten in der linken Ecke.
Niemals nahm ich euch heraus oder fing mit euch eine Nasen-Taschentuch-Beziehung an. Ihr ward so altmodisch und Tempotaschentücher euch weit voraus in meiner Gunst.
Heute sehe ich mein neues Baumwolltaschentuch von dir an und bin verliebt. Sobald es meine Nase berührt, rieche ich den leichten Weichspülergeruch, der schon lange in dir steckt und ein bisschen verloren riecht, aber auch nach so viel Geborgenheit, nach der Sicherheit der alten Dinge, die bleiben.
Ein bessere Welt voller Baumwolltaschentücher
Ich schneuze hinein, anfangs etwas zurückhaltend, es ist schließlich ein Stück Stoff. Dann fester und schließlich so fest ich kann. Ich sehe dich an und frage mich, warum nicht jeder Mensch ein Baumwolltaschentuch bei sich tragen kann. Die Welt wäre eine bessere – davon bin ich überzeugt, als ich mein weiches neues echtes Taschentuch in meine Tasche schiebe. Danke für die einfachen Dinge.
Danke für ein einfaches Taschentuch, dass mich für einen kurzen Moment umarmt hat, als wäre ich wieder 5, weine und mein Papa reicht mir sein Taschentuch. Er trug es immer in seiner linken Hosentasche. Und es war so schnell zur Stelle, ich hatte manchmal nur kurz daran gedacht zu weinen, schon schob es sich unter meine Nase.
Ein besonderer Tag
Ich bin mir darüber im Klaren, dass Tempotaschentücher hygienisch sind und einfacher im Handling. Ich bin mir aber auch darüber im Klaren, dass dieser eine Tag in der Sonne auf der kleinen Holzbank – mit einem Baumwolltaschentuch von einem besonderen Menschen – für immer ein ganz besonderer Tag in meinem Leben bleiben wird.
#altmodisch #geborgenheit #liebe
… schöne Zeilen die mich genauso wärmen wie die Sonne an diesem Vormittag auf der kleinen Holzbank …