Menschen, die früh in die Großstadt gezogen sind und aus einer Kleinstadt kommen, kennen das Gefühl. Eine leise Sehnsucht nach der überschaubaren Heimat. Nach frischem Apfelkuchen vom Bäcker an der Ecke. Es kommt meistens unvorbereitet und trifft einen überraschend.
Im Großstadtdschungel überleben
Vor allem ist man irritiert, weil doch das Leben in der Großstadt seine vielen Vorteile hat. Der Cafe Latte im Lieblingscafe um die Ecke. Der Drink in der Bar, wann immer ich möchte (auch nachts um 3, wo man in seiner Heimat noch nicht mal eine offene Tankstelle finden würde). Und um all diese Großstadtaktivitäten herum immer ein Haufen interessanter großstätischer Menschen. Open minded und ganz sicher total unangepasst.
Die Heimat ruft
Wo einem nun also täglich diese lässige Großstadtarroganz um die Nase weht – was für einen Grund gäbe es da, sich nach seiner alten Heimatstadt zu sehnen? Nicht viele! Aber die, die es gibt, überzeugen oft selbst hartnäckige Großstädter irgendwann. Gerne in den mittleren Jahren. Wenn die Überzeugung reift, dass ein Plus an Lebensqualität wichtiger ist, als ein Plus auf dem Konto.
Dann beginnen die alten Wurzeln ihre Chance zu sehen und singen immer lauter von Heimat und Kindheit und Ruhe und Besinnung. Ab hier ist man quasi machtlos. Mit der Ruhe und Kraft einer Planierraupe bahnt sich die Heimatsehnsucht ihren Weg durch alle Widerstände der Vernunft, direkt ins Herz. Und von da an infiziert sie jeden Winkel der Organe. Dann ist es soweit, man beginnt sich ernsthaft zu fragen: Ist die Großstadt bis ins hohe Alter das Richtige für mich? Und ab wann ist der Zug für eine Rückkehr für mich abgefahren?
Wo will ich sein?
Um es kurz zu machen, all das liegt hinter mir und dauerte Jahre! Das Großstadtleben hat sich hartnäckig gewehrt und mit allen Mitteln versucht, sich zu behaupten. Sehr erfolgreich – bis eines Tages alle inneren Ampeln auf Grün standen. Und dann gibt es kein Halten mehr. Die Koffer, innerlich schon hundertmal gepackt, sind in null komma nix bereitgestellt und ein neues Leben beginnt. Jetzt die Überraschung. Das neue Leben ist genauso, wie es erträumt wurde. Die Versprechen werden gehalten. Der Großstadt-Puls entschleunigt sich innerhalb weniger Tage. Der angestrengte Großstadt-genervt-Blick verschwindet, die sich in den letzten Jahren einnistende Stirnfalte Gott sei Dank auch.
Zuhause
Gespräche mit bereits gegangenen Liebsten sind nun wieder dort, wo sie hingehören – Zuhause. Ein Seitenblick nach links beim Laufen im Stadtpark und Papa läuft mit, ein „Gute Nacht“ und Omimi steht am Bettrand, spricht von alten Tagen und nimmt mich in die Arme. In solchen Momenten fühle ich mich wie ein Familienmitglied der Waltons. Warm und sicher umhüllt von Menschen, die immer auf Platz 1 meiner persönlichen Lieblingstreffen stehen.
Das allein macht mich glücklich und lässt mich jeden Tag aufs Neue erleben, wie goldrichtig meine Entscheidung für die Rückkehr in die Heimat war. Zurück zur Basis. Back to the basics. Kein Lippenbekenntnis mehr, sondern geschmiedetes Glück.
Zuhause. Allein dieses Wort versprüht so viel Wärme und Geborgenheit, wie Familie und Freunde.
Zuhause sein und dem Großstadtdschungel entfliehen. Eine Sehnsucht!
Das verlässt mich seit Anfg. 2014 nicht mehr, als wir zu einer Feier in meine alte Heimat Bremen gefahren sind.
Das Einfahren von der Autobahn nach Bremen war ein Kopferlebnis und zog sofort unfasssbare viele Erinnerungen nach sich.
Wir mussten dann auch noch an einer Stelle am Osterdeich vorbei, wo ich das mittlerweile „alte“ Mietshaus entdeckte, das tatsächlich noch stand.
Von da an kreiselten die Gedanken extrem und die Sehnsucht nach mehr Ruhe und etwas mehr Geborgenheit taten sich im Übermaß auf. Gedanken an eine Rückkehr waren da schon sehr deutlich vorhanden.
Kurzum: ich bin mit diversen Umwegen vor 22 J. in die Weltstadt Hamburg gezogen, finde HH auch sehr hübsch, aber bekomme eben – mittlerweile auch in die Jahre gekommen – auch diesen extremen Großstadttrubel mit. Die Freundlichkeit lässt hier sehr zu wünschen übrig und jeder meint, besser zu sein als der andere. Aber ich fürchte, dies ist nicht nur ein Großstadtproblem, sondern ein Problem der Gesellschaft.
Keine Zeit mehr für Andere, kein „vielen Dank“, kein „guten Tag“, kein „ich stehe für Ältere auf in der Bahn/im Bus“ und vor allem keine Zeit mehr für sich selbst. Das macht Menschen unzufrieden und mürbe auf Dauer.
Wir werden von der Gesellschaft, den Medien und – nicht zu vergessen – so gottgefälligen Arbeitgebern so gelenkt, dass uns das vertraute und freundliche Miteinander abhanden geht. Darin liegt auch die Sehnsucht begründet, auszubrechen und in eine friedlichere Zukunft steuern zu wollen und wenn es die Kleinstadt ist.
Kleinstadt wie Großstadt: Plädoyer ist, dass sich die Menschen nicht immer so unfassbar wichtig nehmen und ein nettes Wort an die richtige Stelle richten, z. B. an die Verkäuferin, die einem eben weitergeholfen hat mit einem fröhlichen „vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen, Ihnen einen schönen Tag“ zu verabschieden. Das tut noch nicht einmal weh.
Aber ich träume trotzdem von der muckeligen Kleinstadt…
Vielen Dank für deine Zeilen, liebes BremerKind!
Ich werde deine Gedanken zum Anlass nehmen, demnächst wieder noch mehr hinzusehen, ob gerade ein „Dankeschön“, „möchten Sie vielleicht gerne sitzen“ oder „Einen schönen Tag für Sie“ jemanden besonders glücklich machen könnte. Dann sag ich es noch lauter und herzlicher, als sonst.
Herzliche Grüße und einen extraherrlichen Tag für dich!
Charlotte